Titel-Shopping bei Rechtsanwältenvon Ulrike Cristina

Im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in der EU gilt auch für Rechtsanwälte die freie Wahl, überall innerhalb Europas ihre Beratungen anzubieten (Richtlinie 98/05 EG).
Wer jetzt meint, dass es reicht, die Koffer zu packen, die Berufsbezeichnung in die jeweilige Landessprache zu übersetzen und ein Schild an die Tür zu hängen, der irrt: soweit geht die Liebe der europäischen Mitgliedsstaaten zueinander dann doch nicht.
Während die Richtlinie vorschreibt, dass der Berufstitel, wie er erworben wurde, auch im Ausland geführt werden muss, regeln die konkreten Voraussetzungen für die Anwaltstätigkeit die jeweiligen Landesgesetze – und das mit ganz unterschiedlichen Anforderungen z.B. bezüglich der Weiterbildungspflichten. Während Deutschland auf Fachanwaltstitel als Fortbildungsmotivator der Anwälte setzt, ist es in Italien für alle Anwälte nach Berufsrecht seit 2010 Pflicht, sich jährlich über mindestens 60 Stunden fortzubilden, sonst droht der Ausschluss aus der Anwaltskammer.
Natürlich kann der „Rechtsanwalt“ nach den Regeln der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vor der spanischen Anwaltskammer auch beantragen, als „Abogado“ zugelassen zu werden, der „Avvocato“ vor der deutschen Kammer als „Rechtsanwalt“ usw. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller eine Angleichungsprüfung zum örtlich geltenden Recht macht.
Leider ist das angestrebte Ziel der Richtlinie, ein harmonischer Binnenmarkt, noch nicht erreicht: Bisher sind die Anforderungen an die Studien- und Berufsabschlüsse sowie Zulassungsbedingungen zum Anwaltsberuf nicht in allen EU-Ländern gleich. Dies machen sich findige Studenten und professionelle Anbieter – um nicht zu sagen Verkäufer von Studienabschlüssen – zunutze, die im Sinne des „Titel-Shoppings“ nach der einfachsten Zulassung zum Anwaltsberuf in Europa Ausschau halten. Beliebt ist der Erwerb des Studiums und/oder der Abschluss im sonnigen Spanien („Abogado“) oder im großzügigen Rumänien („Avocat“). Gestützt wird diese sehr freie Berufstitelwahl auch vom europäischen Gerichtshof: auf Klage von zwei Italienern, Universitätsabsolventen mit dann erworbenem spanischen Berufstitel, wurde die italienische Anwaltskammer verpflichtet, diese als „ausländische Anwälte“ zuzulassen, obwohl sie das nun wirklich nicht waren. So kamen die Italiener über die einfachere Angleichungsprüfung dann zu dem angestrebten verheißungsvollen Berufstitel „Avvocato“ – und sparten sich die strenge nationale Anwaltsprüfung.
Der Verbraucher als Rechtssuchender blickt bei dieser Titelvertausch- und Wechselmöglichkeit nicht mehr durch, denn wer fragt den Anwalt vor der Beratung nach Universitätsabschlüssen, Staatsexamen oder Zulassungsurkunde? Zudem leidet der gute Ruf des Anwaltstitels – egal in welchem EU-Land.

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